Der Mann, den es nicht gab by Garry Satherley

Der Mann, den es nicht gab by Garry Satherley

Autor:Garry Satherley [Satherley, Garry]
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Auch Margit schenkte mir einen Apfel (sagte der Erzverräter). Statt Franzis kam sie. Es war Frühling. Der Apfel war ganz klein und noch nicht reif. Mir wurde klar, was sie mir anzubieten gedachte. Ich war empört und erregt zugleich – was sie vermutlich sofort bemerkte. Wir setzten uns ins Wohnzimmer, sehr förmlich. Zum Glück schien sie unverändert, die gelben Locken, die Porzellanpuppenaugen – ein wenig füllig um die Hüften, aber mit einem hübschen Busen in der Bluse. Sie holte den Apfel aus der Tasche und legte ihn zwischen uns auf den Tisch. »Wo wir jetzt wohnen«, sagte sie, »haben wir einen Baum.«

Wir betrachteten den Apfel. Tamas war draußen und schnitt die Hecke. Ich erinnere mich noch genau an das Geräusch: das Schnippschnapp seiner Heckenschere.

»Ist das zu glauben?«, sagte Margit. »Ein Apfelbaum im Garten? Und das in diesem entsetzlichen Loch? Dieser Dreck! Dieser Lärm! Diese verkommenen Gestalten! Schlimmer als Zigeuner! Trotzdem steht ein Apfelbaum im Garten.« Dessen Frucht zwischen uns auf dem Tisch lag. Ich stellte mir vor, wie die Bewohner des Elendsquartiers, in dem die Tóths jetzt hausten, den Baum neidisch beäugten. »Und der kleine Tamas? Wie geht es ihm?«

Das war das Stichwort. »Er hat Husten. Bronchitis. Er hat sich bei den Kindern angesteckt. Wir müssen uns das Zimmer mit einer anderen Familie teilen. Die Kinder sind krank. Du kannst es dir nicht vorstellen. Die Mutter weint. Der Vater trinkt. Wer wollte es ihm verdenken? Es ist entsetzlich! Entsetzlich!«

Wir starrten den Apfel an und lauschten Tamas' Heckenschere.

»Wir haben uns hier so wohl gefühlt«, sagte Margit.

»Wie geht es deinem Vater?«

»Ich dachte, du kennst vielleicht jemanden«, bohrte Margit. »Einen Freund vielleicht? Jemanden, der uns helfen könnte? Wie es meinem Vater geht? Einigermaßen. Er hustet. Aber wer tut das nicht?« Worauf sie selbst hüstelte, dezent, hinter ihrer unförmigen kleinen Hand.

»Und deiner Mama?« Aha. Da waren sie wieder. Die blauen Augen. Der flehende Blick. Rette mich!

»Du denkst, sie hätte mich geschickt«, wisperte sie.

Diese Augen. Mehr brauchte es nicht. Die Natur forderte ihr Recht.

»Nein«, beteuerte ich.

»Ich schwöre«, insistierte sie.

»Ich glaube dir«, flüsterte ich. Sie log. Natürlich hatte ihre Mutter sie geschickt. Aber was spielte das für eine Rolle? Der Apfel war vergessen. Wir beugten uns unbeholfen über den Tisch und fielen einander um den Hals. Sie küsste mich, doch ich war nicht recht bei der Sache. Sie wollte mit mir in ihr altes Zimmer. Ich zerrte sie zur Treppe. Obwohl ich auf dem Weg nach oben mit zitternden Fingern an ihr herumfummelte, hatte ich nur eins im Sinn – es musste im Zimmer meines Vaters geschehen.

Ich beförderte die Noten meines Vaters mit gezielten Tritten nach allen Seiten, und wir tänzelten linkisch über den Teppich. Im letzten Augenblick, sie wollte sich eben auf dem Bett meines Vaters ausstrecken, fiel ihr der Zweck ihres Besuches wieder ein. »Sprichst du mit deinem Freund?«

»Ja, ja«, versprach ich.

Du weißt vermutlich, wie das ist? Das erste Mal? Du willst alles auf einmal. Du kriegst nichts. Und hinterher fragst du dich atemlos, was eigentlich gewesen ist.

»Stimmt was nicht?«, wollte Margit wissen. Ich konnte ihren Blick nicht ertragen – ihre Augen widerten mich an.



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